Nachbar darf überhängende Äste abschneiden

Urteilsdatum: 11.06.2021

Der „Klassiker“ unter den Nachbarschaftsstreitigkeiten: Überhängende Zweige und Äste. Diese darf der Nachbar nach einem neuen Urteil des BGH sogar dann abschneiden, wenn dadurch das Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht.

In dem vom BGH entschiedenen Fall steht auf dem Grundstück der Kläger unmittelbar an der gemeinsamen Grenze seit rund 40 Jahren eine inzwischen etwa 15 Meter hohe Schwarzkiefer. Ihre Äste, von denen Nadeln und Zapfen herabfallen, ragen seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten hinüber. Nachdem dieser die Kläger (Baumeigentümer) erfolglos aufgefordert hatte, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, hat er die überhängenden Äste und Zweige selbst abgeschnitten. Daraufhin verlangten die Baumeigentümer vom Beklagten, es zu unterlassen, von der Kiefer oberhalb von fünf Metern überhängende Zweige abzuschneiden mit der Begründung, dass dadurch die Standsicherheit des Baumes gefährdet werde.

Während die Klage in den Vorinstanzen erfolgreich war, hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gemäß § 910 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks nämlich herüberragende Zweige abschneiden, wenn er dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt. Dies gilt nach Auffassung des BGH nicht nur für die unmittelbar von den Ästen ausgehenden Beeinträchtigungen, sondern auch für mittelbare Folgen wie z.B. den Abfall von Nadeln und Zapfen. Dabei betonte der BGH, dass das Selbsthilferecht des § 910 Abs. 1 BGB nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestattet sein sollte und daher insbesondere keiner Verhältnismäßigkeits– oder Zumutbarkeitsprüfung unterliegt. Ferner liegt die Verpflichtung dafür, Sorge zu tragen, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, bei dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach und lässt er die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, kann er nicht einwenden, durch das Abschneiden der Zweige an der Grundstücksgrenze würde die Gefahr bestehen, dass der Baum seine Standfestigkeit verliert oder abstirbt. Dementsprechend kann der Baumeigentümer nicht verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung des Grundstücks hinzunehmen.

Allerdings steht das Selbsthilferecht dem Grundstückseigentümer nicht zu, wenn die Zweige die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtigen oder naturschutzrechtliche Regelungen wie z.B. eine Baumschutzsatzung solche Maßnahmen verbietet (BGH, Urteil v. 11.06.2021, V ZR 234/19).

 

                                                                                                                                  31.08.2021

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